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Melancholic Dreamwave (Text, 2022)

Die Sonne senkt sich schwer über die Stadt. Ihre Farben brennen, so als ob die Welt noch einen letzten Atemzug nimmt, bevor die Dunkelheit Dämonen weckt. Ich stelle mir vor, wie wir dort sitzen, auf der Treppe des Nachbarn, deine Hand in meiner, die Wärme deines Lächelns noch real. Mal angenommen wir könnten zurückkehren, dorthin, wo alles, was zerstört wurde, heilen kann. Wo die Schönheit die Schlachtfelder dieser Welt blind macht. Würden wir? Vielleicht, lügen wir uns gegenseitig vor, vielleicht – könnte alles gut werden.
Ich seh die Dächer brennen. Menschen drehen sich wie Kreisel, immer auf der Suche nach ihrer Wahrheit. Welche Umwege sie gehen, welche Masken sie tragen. Die Arschlöcher tragen immer Schlips. Alles scheint ein Kreis, so endlos und erdrückend. Und ich? Ich sitze hier, auf der Balustrade, stumm, starre auf die Flut, die kommt, meine Füße umspült, an den Waden kitzelt und dann krachend über mir zusammenschlägt. Ich bin taub, Zeit tropft durch meine Finger, wie Sand, wie Staub, der sich nicht halten lässt. Du musst loslassen können, sagen sie. Welch Ironie. Alles neu, instagramable, Altbau mit Balkon, Stefan-Marx-Poster an der Wand, Steingut im Regal. Ich will nicht so schnell erwachsen werden.
Du bist da, du folgst mir in die Dunkelheit. Aber ich renn rücksichtslos, direkt in den Sturm. Was habe ich gesucht? Was glaubte ich zu finden? Meine Gedanken wie ein Drahtseil, gespannt zwischen Flucht und Sehnsucht. Und doch – immer dann, wenn ich falle, bist du da. Deine Hände halten mich, warm, fest, ein Anker. Deine Augen leuchten, ein Leuchtfeuer, ein Versprechen: „Ich bin hier.“ Du leuchtest. Du bringst mich nach Hause. Aber lässt du mich auch gehen?

Und was ist überhaupt Zuhause? Ist es die Erinnerung an den Morgen, als wir mit verschlafenen Augen auf einer Bank saßen, die Kälte im Gesicht und den Duft des Meeres in der Luft? Oder war es das Lachen, das wir inmitten von Nichts fanden – wo wir alles hatten, weil wir einander hatten? Es braucht so wenig, um ein Herz zum Schlagen zu bringen. Ein Blick, ein Hauch. Doch wie wenig es braucht, um es zu brechen.
Deine Worte, oft wie Samt. Weich, aber erstickend. Die Stille danach ist noch schlimmer, ein endloses Echo, das niemals ganz verklingt. Und die Fragen die uns zäh umfließen, wie flüssiges Glas: Wer war schuld? Und diese Risse, wer hat sie verursacht? War das die Zeit, oder waren wir es?

„Scheisse“, flüstere ich in die Leere. Was ist Glaube, wenn nicht das ständige Hoffen, dass jemand uns folgt, uns rettet, uns am Jackenärmel von der Straße zieht? Mal wieder im Handy versunken. Ich schätze, heute muss ich mich mal selbst retten. Ich schaue zurück, sehe die Vergangenheit wie ein verknotetes Tau in Jütland am Strand. Mit den Eltern in Henne Strand, später, auch mal alleine da gewesen. War aber nicht mehr so wie früher, nicht mehr so pastellig. Die Krähen klagen über den Herbst, den Winter, denn der bringt den Verlust. Alles weg. Aber meine Gedanken? Die bleiben. Hartnäckig, unerbittlich und vor allem: wahr. Dir selbst kannste nämlich keinem vom Pferd erzählen. Nicht mal der Satz stimmt, siehste?

Manchmal fühlt es sich an, als ob wir nur treiben, zwei Partikel in einem Ozean aus Dunkelheit. Fast hätte ich „Scheisse“ geschrieben, aber damit würd ich nur meiner Therapeutin recht geben (und außerdem hab ich schon im Absatz zuvor „Scheisse“ geschrieben). Ja gut, aber was ist denn jetzt Liebe, frage ich sie, wenn nicht der stärkste Sturm, der tiefste Schmerz, die Worte, die uns verstören, die stillen Momente danach. Die größte Liebe hinterlässt doch die tiefste Lücke und die verletzensten Wörter oftmals Stille. Und doch – wir erinnern uns. Laut. 
In all dieses Chaos, rufe ich: Wer bin ich denn, verdammt nochmal? Und wer bist du eigentlich, dass du mich in die Bedeutungslosigkeit schubsen kannst. Sind wir denn nicht mehr als nur all diese einzelnen Momente? Sind wir nicht Geschichte? Machen wir denn keinen Unterschied oder sind wir nur Staub, der im Licht der halb heruntergelassenen Jalousie tanzt? 

Ich sehe dich manchmal. Dann seh ich auch uns. Und manchmal, da denke ich leise, wir könnten es vielleicht doch noch schaffen. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht niemals. Ich könnt aufstehen, zu dir gehen, hallo sagen. Mach ich aber nicht. Ich bleib sitzen und starre. 









Das auf diesem, in der Covid-19-Pandemie entstandenen Text basierende Album „Melancholic Dreamwave“ können Sie unter folgendem Link hören: https://open.spotify.com/intl-de/album/6wihkYJsrg3SB9DGgcRIZS?si=435LpzSUSzihqof5vzXrLA